Der Nachbar im Computer (22. April 1994)

Der Nachbar im Computer


Privatmann überläßt sein elektronisches Archiv dem Polen-Institut


"Wo kann ich in Polen billig Äpfel bekommen?" Solche und ähnliche Fragen erreichen mitunter das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt. Dort beschäftigt man sich jedoch hauptsächlich mit Lesefrüchten, mit polnischer Literatur und deutsch-polnischen Kulturbeziehungen. Doch in Zukunft wird man zumindest zum Stichwort "Zankäpfel in Walesas Politik" mühelos Quellen finden. Udo Kühn, pensionierter Ingenieur aus Erbach, hat dem Polen-Institut sein umfangreiches Archiv über das Nachbarland als Leihgabe zur Verfügung gestellt.
32000 Zeitungsausschnitte aus 25 Jahren umfaßt die Sammlung, ein Viertel der Artikel, Buchbesprechungen, Bilder und Karikaturen ist bereits im Computer erfaßt. Bis zum Jahr 2000 soll alles elektronisch abrufbar sein. 122 Quellen, meist Tages- und Wochenzeitungen, hat Kühn angezapft. Ein immenser Datenschatz. Von einer "neuen Etappe in der Geschichte des Deutschen Polen-Instituts", spricht daher auch Institutsleiter Karl Dedecius angesichts der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten.
Kühns Sammelleidenschaft begann 1968 an einem Bonner Bahnhofskiosk. Dort entdeckte er "Monatsschrift Polen", eine Zeitschrift für deutsch-polnische Verständigung. Als in einer der Nummern gefragt wurde - "Was wissen Sie über Polens Geschichte?" - mußte Kühn passen. Seitdem versucht er mit tatkräftiger Unterstützung seiner Frau Gertrud, Wissenslücken über Polen zu schließen. 50000 Arbeitsstunden hat er bisher in seine "Dokumentation Polen-Information" investiert, hat sich in seiner Freizeit zum wissenschaftlichen Dokumentar ausbilden lassen, hat Freunde und Bekannte um Material gebeten. Seit 20 Jahren durchforstet beispielsweise Ferdi Steen aus Eberstadt diese Zeitung nach Hinweisen auf Polen.
In puncto Polen ist Kühn unersättlich. Alles wird sortiert, zitiert und nach verschiedenen Sachgebieten katalogisiert. Und warum das alles? "Nach dem Krieg mußte ich Trümmerschutt wegräumen. Jetzt will ich Vorurteile wegräumen helfen", sagt der 64 Jahre alte Polen-Experte.
Im Polen-Institut freut sich Manfred Mack, daß die "thematische Breite unseres Archivs nun wesentlich erweitert wurde". Und Karl Dedecius könnte schon den Werbeslogan für den neuen Infoservice gefunden haben: "Ein Anruf genügt - wie bedienen Sie prompt!". Doch wie prompt der Datenquell sprudelt, haben jetzt andere zu entscheiden. Auswärtiges Amt, Bosch- und Krupp-Stiftung haben Kühns und Macks Arbeit bisher gefördert. Die Kultusministerkonferenz hat nun über weitere Mittel zu befinden. Eine feste Stelle zur weiteren Erfassung wäre wichtig, auch neue Geräte und computerprogramme, um mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten. "Wir wären dankbar für Sponsoren", so Mack.


aus: Darmstädter Echo, 22. April 1994


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