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Aus der Dokumentation Polen-Information
Hrsg.: Gertrud + Udo Kühn, Am Diebsberg 6, D-64711 Erbach-Bullau
Bearbeitung für das Internet: Dieter Geiger

Nachdruck mit Quellenangabe erlaubt, Belegexemplar zur Archivierung erbeten.
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Ausgabe 1-2011 vom Januar 2011

Eine Leiche im Keller

Aus dem Internet unter: www.redensart-index.de
eine Belastung aus der Vergangenheit / etwas auf dem Gewissen haben; ein Geheimnis hüten; eine Schuld auf sich geladen haben.

"Die Politiker beschuldigen sich alle gegenseitig, aber jeder von denen hat eine Leiche im Keller";
"Jeder hat seine Leiche im Keller versteckt";
"Jede Verletzung aus der Vergangenheit, die als 'Leiche im Keller' liegt, kann daran schuld sein, dass Partnerschaften nicht funktionieren, das Berufsleben unbefriedigend ist und Dauergroll das psychische Klima vergiftet";
"Informelle Machtbeziehungen entstehen oft durch reale oder vermeintliche Erpressbarkeit (Geheimnis, Leiche im Keller)";
"Auch die Bremer Justiz hat noch eine Leiche im Keller. Das wurde bei einem Vortrag über die Entnazifizierung an Bremer Gerichten deutlich. Wie war es möglich, dass so viele Richter und Staatsanwälte, die während der NS-Herrschaft Unrecht sprachen, den Weg zurück in die Justiz fanden?";
"Diejenigen, die willkürlich mit dem Zeigefinger der Beschuldigung auf andere zeigen, haben oft die meisten Leichen im Keller";
"Mit allen Behörden im Reinen, keine Leichen im Keller, keine Inkasso-Unternehmen auf den Fersen, keine Ratenkredite, und selbst das Finanzamt hat nichts zu meckern";
"Die Finanzaufsicht prüft inzwischen weiter. Nicht ausgeschlossen, dass dabei neue Leichen im Keller gefunden werden"

Unter diesem Titel erschien von Udo Kühn in der Zeitschrift „Polen und wir“ 2006-1 folgender Artikel:

Zufällig erhielten wir am 1. September – 66 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen, aus einem privaten Nachlass ein Buch mit dem Titel „Wir zogen gegen Polen“. Eine reine Propagandaschrift, aufwendig gemacht, in Leinen gebunden, 93 Hochglanzseiten (wenn ich mich nicht verzählt habe) mit Fotos aus dem sogenannten „Blitzkrieg“, 145 Seiten Text, einer Vielzahl von Zeichnungen und eine großformatige Karte der „Vormarschstraßen der Divisionen“ im Maßstab 1:1 000 000. „Die Karten auf dem inneren Einbanddeckel stammen aus der alten bayerischen Armeebibliothek, jetzt Wehrkreisbücherei VII. Die eine Karte stellt das älteste und einzig vorhandene Exemplar einer Karte von Polen aus dem Jahre 1580 dar“, soweit ein Titelhinweis. Das Ganze ein „Kriegserinnerungswerk des VII. Armeekorps [der Deutschen Wehrmacht]“, herausgegeben vom Generalkommando VII. A.K. im Zentralverlag der NSDAP, Franz Eher Nachf., München. Das vorliegende Exemplar stammt aus der „5. Auflage / 71. – 90. Tausend“ vom Jahre 1942.

Recherchen ergaben, dass die Erste Auflage 1940 erschienen ist und dieser Fünften mindestens noch eine Sechste Auflage / 91. – 120. Tausend folgte. Das „Dritte Reich“ ließ sich seine Kriegspropaganda – und nicht nur diese – viel kosten, besonders Papier, das wir „Jungvolkjungen“ der „Hitler-Jugend“ eifrig als Altpapier sammelten, dafür des Öfteren schulfrei erhielten.
So ist denn auch der oberste Kriegsherr gleich zu Anfang des Buches in Hochglanz abgebildet, darunter seine historische Lüge: „Ich habe mich daher nun entschlossen, mit Polen in der gleichen Sprache zu reden, die Polen seit Monaten uns gegenüber anwendet... Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!“

Man könnte zur Tagesordnung übergehen, wenn nicht diese Propaganda, dieses Gift immer noch wirken würde. Archiviert und zugängig ist jeweils ein Exemplar der 1., 3. und der 6. Auflage in der Staatsbibliothek Berlin; letzteres unter der Signatur 387 895. Im Katalog der Deutschen Bücherei in Leipzig ist jeweils ein Exemplar der 1. und 5. Auflage zu finden. In welchen Bibliotheken wohl noch?
Natürlich sind Bibliotheken dazu da, Schriften – egal welchen Inhalts – für „ewige“ Zeiten aufzubewahren. Aber in welchen privaten Büchersammlungen, auf dem Speicher oder in Nachlässen mögen noch und wie viele dieser Propagandaschriften aus „Opas heroischen Jungmännerzeiten“ sonst noch schmoren, meist unkommentiert, bis sich einer der nachfolgenden Besitzer entschließt, sie wieder dem Altpapier zuzuführen? Oder was schlimmer ist, sie antiquarisch zu verhökern?

Das zitierte Buch ist ja bei weitem nicht das einzige dieser Art aus dieser „glorreichen“ Zeit: So dokumentiert eine Bibliographie, Veröffentlichung des Deutschen Polen-Instituts Darmstadt (siehe auch Polen und wir 2/2001), unter „8.3.1.4. Deutsche Septemberfeldzug-Literatur (Texte)“ insgesamt an die einhundertundfünfzig verschiedene Titel von „Unsere Luftwaffe in Polen [1939]“ bis zu „Die polnischen Greueltaten... [1942]“ und alle ohne einen Kommentar. In diesem Verzeichnis fand ich auch den Titel „Mit Mann und Roß und Wagen...“, der mir noch nach über sechzig Jahren aus meiner Jugendzeit in Erinnerung war.
Unter der nachfolgenden Klassifikation „8.3.2. Polnische Armee an der westlichen Front“ sind es gerade mal gut 20 Titel und diese sind alle in polnischer Sprache geschrieben. Hier gibt es wohl noch „Handlungsbedarf“ wie unsere Politiker immer so schön sagen.

„Verjährt“ sich das und wird schließlich alles zu Altpapier oder trägt es zu einer „Vergangenheitsbewältigung“ bei, die alles nur beschönigen will, was damals im September 1939 in Polen wirklich geschah? Ich rate zu einer kritischen Betrachtung dieser „Leiche im Keller“!


* * *



Zwei Jahre später erschien ein wichtiges Buch zur Zeitgeschichte, das wir aber erst im Jahre 2010 in den Bestand der Dokumentation Polen-Information aufnahmen. Nachfolgend die Titelerfassung:

Johannes Sachslehner: Der Tod ist ein Meister aus Wien; Leben und Taten des Amon Leopold Göth


Zum Inhalt des Buches aus dem Klappentext:

Der SS-Führer Amon Leopold Göth ist ein smarter Wiener Gentleman, schlagfertig, charmant, interessiert an Literatur und Musik – ein „Traum von einem Mann“. Im Frühjahr 1940 verlässt er die Familie und bricht auf in das „Land, in dem der Tod haust“: Er sucht Abenteuer und Karriere und findet rasch Gefallen am Judenmord, aus dem man, wenn man es nur geschickt anfängt, auch entsprechenden Profit ziehen kann. Im Februar 1943 wird Göth zum Kommandanten des neu eröffneten Zwangsarbeitslagers Plaszów bei Krakau ernannt. 500 Tage herrscht er als „König von Plaszów“, ist Herr über Leben und Tod, gefürchtet von Zehntausenden, die schutz- und rechtlos seiner Willkür ausgesetzt sind, seiner entsetzlichen Lust am „Abknallen“ und „Umlegen“ ...
Das packende Porträt eines außergewöhnlichen Mannes, der – nicht zuletzt durch Spielbergs Film „Schindlers Liste“ – als Inbegriff des Nazi-Bösen gilt.

Aus der Familiengeschichte geht hervor, dass der Vater Franz Amon Göth am 2. Juli 1937 einen Verlag in das Handelsregister eingetragen hat. Der Verlag wurde in eine Offene Handelsgesellschaft umgewandelt, in die der Sohn Amon Leopold Göth am 1. Januar 1939 als Gesellschafter eintritt. Das Unternehmen firmierte nun als „Verlag für Militär- und Fachliteratur A. Franz Göth & Sohn“.

Zum Weihnachtsgeschäft 1939 wurde ein Prachtband produziert und nach dem großen Verkaufserfolg druckte man 1940 eine zweite Auflage. Der durchschnittliche Jahresumsatz des Verlags bewegte sich bei beachtlichen 1,5 Millionen Reichsmark.

Das Titelblatt des Buches (verkleinert):

Der grosse deutsche Feldzug gegen Polen


Das Buch umfasst 347 Seiten und ist eine großangelegte Propaganda des „Dritten Reiches“.

Nachfolgend ein Beispiel von Seite 159 (Auszug):

Verhaftete Juden


Hierzu ist wohl jeder Kommentar überflüssig!

Recherchen im Rahmen der Dokumentation Polen-Information ergaben, dass dieses Propagandawerk leider immer noch ohne Kommentar in einer Vielzahl von öffentlich zugängigen Bibliotheken zu finden ist und sogar per Fernleihe ausgeliehen werden kann.


„Die Leichen im Keller“ werden nicht weniger!

Aber nicht genug, man bekommt es auch antiquarisch zu einem Preis für € 134,- angeboten, wobei sich vermutlich keine Bibliothek für eine Erwerbung interessiert. Aber wer sonst?

Um nochmals auf Amon Göth zurückzukommen:
Im ZEIT MAGAZIN Nr. 45 vom 4. November 2010 erschien ein Beitrag von Judith Stapf unter dem Titel „Ich wollte wissen, ob er nach dem KZ je wieder glücklich war“.
Die Autorin lernte einen Überlebenden von Schindlers Liste kennen: Michael Enge. Sie reisten gemeinsam in seine „Vergangenheit“, wo er zwischen 1939 und 1945 die Untaten der Nazis überlebte. Ein Auszug:
„... wurde er [Michael Emge] nach Plaszow deportiert. In einem Außenbezirk von Krakau erwartete uns ein großes, verwildertes Freigelände, die Stelle, wo früher Zehntausende Juden, Zigeuner, Priester und andere in einem Arbeitslager zusammengepfercht waren. In diesem Lager kommandierte Amon Göth, der für seine Brutalität berüchtigt war. Seine beiden Hunde waren darauf abgerichtet, auf Befehl zu töten. Wir fanden Göths Villa unverändert in einem kleinen, angrenzenden Wohngebiet. Wir alle waren fassungslos, wie wenig Gedenken es an diesem Ort gab. Auf der Terasse von Göths Haus erzählte Herr Emge, wie er als Junge mit Todesangst in dessen Hundezwinger gesperrt wurde. Wie durch ein Wunder griffen die Hunde ihn nicht an...
Herr Emge ist schließlich mit 17 Jahren in Tschechien befreit worden. Er wog nur noch 27 Kilo, hat seine Kindheit verloren und seine ganze Familie...“

Sekretierung nach 1945

Abschließend soll nicht verschwiegen werden, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg [1945 ff] Bemühungen gab gar nicht erst „Leichen im Keller“ entstehen zu lassen. Allerdings im Wesentlichen auf Druck der Militärregierung in den Besatzungszonen. Hierzu ein kurzer Auszug aus einer sehr informativen Schrift [Nr. 110] der Universitätsbibliothek Marburg, mit dem Titel „Verboten und nicht verbrannt / Die Universitätsbibliothek Marburg und ihre Bücher von 1933 bis 1946“ von Magret Lemberg [2001]: „... Für die Amerikaner war im Zusammenhang mit der Umerziehung der Deutschen zur Demokratie eine gründliche Säuberung der Bibliotheksbestände eine der wichtigsten Aufgaben...“ [S. 173]. Das sahen die Betroffenen aber meist anders und leisteten Widerstand, auch wurden entsprechende Maßnahmen verschleppt oder gingen in den „Sachzwängen“ unter.

Manfred Komorowski schreibt in seiner Abhandlung zum Thema „Nationalsozialistisches Erbe im Bibliothekswesen nach 1945“ [In: Vodosek, Peter: Bibliotheken während des Nationalsozialismus; Teil II, Wiesbaden: Harrassowitz 1992, S. 273-295]: „... Für viele Deutsche war dieser Prozeß der Selbstreinigung, seien es nun die Entnazifizierung von Personen oder die Bibliothekssäuberungen, nicht mehr als lästige Pflicht...“

Das Ergebnis liegt auf der Hand!

Zusammengestellt und kommentiert von Udo Kühn [Wissenschaftlicher Dokumentar]

 


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